Exklusiv für den Cookie Express, stand uns Stefan Wolitz, Leiter des Schwäbischen Oratorienchors, Leiter des Carl-Orff-Chors Marktoberdorf, sowie Schulmusiker am musischen Gymnasium Marktoberdorf zu einem Interview zur Verfügung.

Quelle: inmotion AG/Bastian Ried
Cookie Express: Herr Wolitz, Ihr Lebenslauf verrät eine bedingungslose Hingabe, als vollen Einsatz an und für die Musik. Wie sind Sie zur Musik als Leidenschaft gekommen?
Der Begriff Leidenschaft trifft es ziemlich gut: Als Siebenjähriger habe ich in einer existentiell bedrohlichen Situation auf der Intensivstation eines Krankenhauses eine Musikkassette mit Symphonischen Dichtungen aus Smetanas Zyklus „Mein Vaterland“ geschenkt bekommen. Musik hat mich damals durchgetragen – das ist bis heute so geblieben.
Cookie Express: Klassische Musik ist der Fokus Ihres musikalischen Schaffens: wie kam es dazu?
Man könnte jetzt die Frage stellen, was man alles zu „Klassischer Musik“ zählen kann. Aber es ist schon so: Der Impuls, den ich in meiner Kindheit bekommen habe, ging von „klassischer Musik“ aus. Die Schätze, die „klassische Musik“ vom Mittelalter bis zur Gegenwart zu bieten hat, sind so mannigfaltig, dass ich mich gut darauf fokussieren kann, ohne, dass es mir dabei langweilig würde.
Cookie Express: Sie haben Chordirigieren und Klavier (München) sowie Musikwissenschaft (Wien) studiert: was hat Sie bewogen, den Fokus Ihres Schaffens auf Chöre zu legen?
Zum einen, weil mir im Alter von 19 Jahren die Leitung eines Chores anvertraut wurde, zum anderen, weil ich ermutigende Impulse durch Dozenten im Studium erhielt. Und wenn man einmal damit angefangen hat, Chöre zu leiten oder auch im Chor zu singen, kommt sowieso nicht mehr davon los, dafür sorgen der ungeheuer große Schatz der Literatur von A-cappella-Sätzen bis zur Chorsinfonik, die unendlich vielfältigen Farben im Zusammenklang menschlicher Stimmen und natürlich die Freude beim gemeinsamen Erarbeiten eines Werks. Für mich persönlich kommt auch noch hinzu, dass ein großer Teil der Chormusik geistlich ist und ich dadurch beim Musizieren noch einen tieferen Sinn erlebe.
Cookie Express: Wie viele Sänger:Innen sind in Ihren verschiedenen Chören?
In meinen momentan sieben Chören singen jeweils zwischen 30 und 120 Sängerinnen und Sänger.

Quelle: Alfred Michel
Cookie Express: Wie viele Sänger:innen waren in dem größten Chor, den Sie einstudiert und vor Publikum dirigiert haben?
In Marktoberdorf gibt es eine lange Orff-Tradition. Wenn wir dort alle paar Jahre Carl Orffs „Carmina Burana“ aufführen, bei denen sowohl Kinder-, Jugend- und Erwachsenenchöre sowie viele Ehemalige des Gymnasiums Marktoberdorf mitwirken, stehen schon einige hundert Sängerinnen und Sänger auf der Bühne.
Cookie Express: Während der Chorproben mit großen Chören: verwenden Sie eine Verstärkung über Mikrophon, um alle Sänger:innen optimal zu erreichen?
Nein.
Cookie Express: Wie kontrollieren Sie, ob alle Chormitglieder an den verschiedenen Proben teilnehmen? Anders gefragt: wie gehen Sie mit einzelnen oder häufigen Abwesenheiten um? Was ist, wenn Chormitglieder unabgemeldet/unentschuldigt den Proben fernbleiben?
Jeder Chor muss sich auf seine Mitglieder verlassen können, die Erarbeitung eines Werks ist ein stetiger Prozess, an dem alle Beteiligten kontinuierlich mitwirken müssen. Darüber führe ich auch gerne Gespräche mit einzelnen Sängerinnen und Sängern.
Cookie Express: Wie oft begleiten Sie Ihre Chöre beim Einstudieren selbst am Klavier?
Durch das Begleiten eines Chors beim Einstudieren kann man natürlich musikalische Impulse setzen, die gar nicht erst versprachlicht werden müssen. Je weiter die Einstudierung vorangeschritten ist, desto sinnvoller ist jedoch die Unterstützung durch einen Korrepetitor, damit sich alle Beteiligten auch auf das Dirigat einstellen können.
Cookie Express: Vermissen Sie das Klavierspiel in Ihren jetzigen Tätigkeiten?
Nein, da ich versuche, sehr regelmäßig zu üben und zu spielen. Aktuell bereite ich einen Liederabend und einen Kammermusikabend vor.
Cookie Express: Zu den verschiedenen Chören, die Sie leiten: wie wählen Sie die Sänger:innen für die jeweiligen Chöre und Projekte aus? Laden Sie geeignete Kandidaten:innen zum Vorsingen ein?
Ein Vorsingen ist unbedingt notwendig: Beide Seiten haben dadurch die Möglichkeit, sich besser kennen zu lernen, und ich bekomme dadurch natürlich einen differenzierteren Eindruck von den Stärken der Sänger und Sängerinnen.
Cookie Express: Ist die Fähigkeit, Noten lesen zu können eine Voraussetzung für die Mitarbeit in einem Ihrer Chöre? Lassen Sie Ihre Chöre vom Blatt singen?
Die Fähigkeit, Noten lesen zu können, ist in jedem Fall günstig. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die Literatur zuhause vorbereitet wird, je weniger das der Fall ist, desto mehr wird automatisch vom Blatt gesungen…
Cookie Express: Am musischen Gymnasium Marktoberdorf arbeiten Sie mit jungen Sängern und Sängerinnen: mit welchen Herausforderungen haben Sie umgehen müssen, Motivation und Disziplin bei Proben?
Ich denke, dass sich die Arbeit mit jungen Menschen in diesem Punkt nicht so sehr von der mit Erwachsenen unterscheidet: Man muss sich für eine Sache begeistern (lassen) können, dann ist die Motivation und Disziplin kein Problem.

Quelle: inmotion AG/Bastian Ried
Cookie Express: Wie motivieren Sie gerade jugendliche Sänger:innen „bei der Stange“ zu bleiben und weiter an sich selbst zu arbeiten?
Natürlich ist die Werkauswahl von Bedeutung, wobei sich jugendliche Sängerinnen und Sänger durchaus auch für „alte Musik“ begeistern lassen. Außerdem braucht es Raum für die Freude, gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, das Sinn erfahrbar machen kann. Wichtig ist, dass jede Sängerin und jeder Sänger weiß, dass der eigene Beitrag für das Gelingen des Ganzen unverwechselbar ist und daher auch die eigenen Fähigkeiten im Rahmen der chorischen Stimmbildung aber auch der Einzelstimmbildung immer weiter entwickelt.

Quelle: Chorverband Bayerisch-Schwaben e.V./Peter Mößmer
Cookie Express: Bei der Arbeit mit Chören, die aus erwachsenen Sängern:innen bestehen, welchen Herausforderungen begegnen Sie hier?
Die Herausforderungen sind ähnlich, als zusätzliche Schwierigkeit kommt bei Erwachsenen die Koordination der Proben mit beruflichen und familiären Verpflichtungen hinzu. Wie bei jugendlichen Sängerinnen und Sängern ist es aber so: Wer erkannt hat, welchen Schatz das Chorsingen für das eigene Leben darstellt, wird dem Musizieren im Chor (immer wieder) einen entsprechenden Platz einräumen.
Cookie Express: Wie viele Proben setzen Sie für die verschiedenen Auftrittsprojekte an?
Das ist natürlich jedes Mal unterschiedlich, da gibt es immer wieder neu eine Kalkulation, bei der unter anderem die Schwierigkeit des Werks, die aktuelle Besetzung und die zeitlichen Ressourcen der Beteiligten eine Rolle spielen.
Cookie Express: Welche Zeit setzen Sie für jede Probe an? Variiert das?
Das hängt auch von der Organisation des Chores ab: zwischen 60 Minuten bei Kindern und bis zu drei oder auch deutlich mehr Stunden am Tag bei Erwachsenenchören.
Cookie Express: Lassen Sie Stimmproben machen, das heißt, Proben für Sopran, Alt, Tenor, Bass, Frauen und Männer?
Stimmproben sind unersetzlich, zum einen, weil die Probenzeit für den Einzelnen reduziert wird und außerdem effektiver an der Homogenität des Registerklangs gearbeitet werden kann.
Cookie Express: Wenn Sie meinen, dass ein Sänger/eine Sängerin eine spezifische Unterstützung, Weiterbildung braucht, wie initiieren Sie das? Arbeiten Sie mit Lehrern:innen zusammen, die diese Unterstützung geben können oder arbeiten Sie selbst mit den einzelnen Sängern:innen?
Ich höre mir gerne immer wieder selbst die Sängerinnen und Sänger einzeln an, um einen lebendigen Eindruck von der stimmlichen Entwicklung zu erhalten. Für Einzelstimmbildung, die für jeden Sänger und jede Sängerin von großer Bedeutung ist, gibt es glücklicherweise hervorragende Gesangslehrer, zu denen ich gerne die Kontakte herstelle.
Cookie Express: Wenn Sie von einem oder mehreren Instrumenten während eines Chorauftritts begleitet werden möchten: wie wählen Sie Instrumente und Musiker aus?
Die Besetzung ist ja meistens bereits durch den Komponisten festgelegt. Ich bin sehr froh, dass der Schwäbische Oratorienchor seit vielen Jahren von Mitgliedern des Bayerischen Staatsorchesters unterstützt wird. Wenn die Schwäbische Chorakademie oder der Carl-Orff-Chor ein barockes Oratorium zur Aufführung bringen, freue ich mich immer sehr über die Zusammenarbeit mit dem Orchester „La Banda“. Außerdem arbeite ich auch gerne bei anderen Gelegenheiten mit unterschiedlichen freischaffenden Musikerinnen und Musikern zusammen.

Quelle: André Wobst
Cookie Express: Beim Beginn einer Chorprobe, lassen Sie die Sänger:innen Aufwärmübungen machen, die dem Einsingen vorausgehen? Wie bauen Sie das Einsingen auf?
Das Einsingen selbst ist ja ein umfassendes Aufwärmprogramm in den Bereichen Körperarbeit, Atmung und Stimme mit dem Zielen eines flexiblen, in allen dynamischen Schattierungen homogenen Chorklangs und der Gesunderhaltung der Stimme.
Cookie Express: Wie strukturieren Sie eine Chorprobe? Nach Abschnitten in der Partitur?
Das hängt sehr individuell vom Werk, der für die Einstudierung zur Verfügung stehenden Zeit und der jeweiligen Probenbesetzung ab. Wichtig aber neben der detaillierten Arbeit an einzelnen Stellen ist, dass der Sinn für Zusammenhänge in der Komposition gestärkt wird, um so einen Anschluss in den Folgeproben und eine kontinuierliche Entwicklung zu befördern.
Cookie Express: Wie sieht für Sie ein zufriedenstellender Probetermin mit einem Chor aus?
Alle Sängerinnen und Sänger des Chors sind anwesend, alle sind bestens vorbereitet, alle sind während der gesamten Probendauer nachhaltig von der Musik begeistert.
Cookie Express: Wie sieht für Sie ein zufriedenstellender Auftritt mit einem Chor aus? Wie fühlt sich das für Sie an? Wann sind Sie mit einem Auftritt richtig zufrieden?
Schön ist es, wenn möglichst viel von dem, was erarbeitet wurde, im Augenblick des Konzerts abgerufen werden kann und die Freude, die wir beim Musizieren empfinden, sich auf das Publikum überträgt.
Cookie Express: Welche unvorhergesehenen Ereignisse haben Sie während Ihren Auftritten erlebt, und wie sind Sie damit umgegangen? Bitte teilen Sie hier Ihre Erfahrung mit unseren Lesern
Vom Einsatz eines Notarztes über das Klingeln eines Mobiltelefons an einer sensiblen Pianissimo-Stelle bis zum witterungsbedingten Ausfall von Musikern war alles schon dabei… Wichtig ist, die Konzentration und auch die Freude beim Musizieren zu bewahren.
Cookie Express: Auftritte und Proben ausgenommen, was sind die organisatorischen Herausforderungen bei einem Chorprojekt, denen Sie begegnet sind? Buchung von Lokalitäten, Einholen von Genehmigungen, Organisation der logistischen Unterstützung, Organisation der Auftrittstechnik? Bitte teilen Sie Ihre Erfahrung mit unseren Lesern.
Die vielfältigen nicht-musikalischen Aufgaben werden in den meisten meiner Chöre von engagierten Vereins- bzw. Vorstandsmitgliedern übernommen; nur mit deren Fähigkeiten und dank ihrer tatkräftigen Hilfe können die unterschiedlichen Projekte überhaupt realisiert werden.
Cookie Express: Thema Lampenfieber: Wie gehen Sie mit Lampenfieber um? Welche Ratschläge geben Sie Ihren Sänger:Innen zu diesem Thema?
Das Lampenfieber hat sich im Lauf meines Lebens, verändert, es ist auch ein Unterschied, ob ich Klavier spiele oder dirigiere. Ratschläge kann ich diesbezüglich keine geben – der Umgang mit Lampenfieber ist höchst individuell. Ich bin aber überzeugt davon, dass eine optimale Vorbereitung auf ein Konzert die beste Grundlage ist, um auf Lampenfieber angemessen reagieren zu können.
Cookie Express: Wie organisieren Sie die anfallenden Lizenzgebühren für das notwendige Notenmaterial?
Noten kaufen oder mieten wir. Die meisten meiner Chöre sind Mitglied beim Chorverband Bayerisch-Schwaben und können, wenn nötig, über ihn die Gebühren für die Aufführungsrechte abwickeln.
Cookie Express: Welche Ratschläge würden Sie Personen geben, die ebenfalls Chorprojekte leiten möchten?
Sie meinen jemanden, der noch keinen Chor leitet, aber Lust dazu verspürt? Nur zu, es lohnt sich! Allerdings würde ich jedem empfehlen, die eigenen Fähigkeiten stets bestmöglich zu entwickeln: Klavierspielen ist eine günstige Voraussetzung. Außerdem gibt es beim Chorverband, bei den Kirchen und natürlich im Studium Gelegenheiten, Chorleitung „von der Pike auf“ zu lernen.
Cookie Express: Zu welchen Musikrichtungen fühlen Sie sich außer der Klassik hingezogen? Wie viele POP, Heavy Metal oder Jazz Konzerte haben Sie besucht? Welche Musik außer der Klassik hat Sie privat oder beruflich inspiriert?
Als Lehrer habe ich grundsätzlich Kontakt mit vielen musikalischen Genres und begegne ihnen auch mit Wertschätzung. Als Privatperson und auch als ausübender Musiker fühle ich mich aber in der Tat der sogenannten „klassischen Musik“ vom Mittelalter bis zur Gegenwart verbunden.
Cookie Express: Herr Wolitz, vielen Dank für das Interview, für die Einblicke in Ihren Musikeralltag!
Das Interview führte Udo Smidt vom Cookie Express.
Links:
https://www.schwaebischer-oratorienchor.de/head.html
https://www.chorverband-cbs.de/Chorpraxis/schwaebische_chorakademie/sca_team
https://www.chorverband-cbs.de/Chorpraxis/schwaebische_chorakademie/sca_projekte/2022_der-mond